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Der festlich geschmückte Weihnachtsbaum steht symbolisch für die gemütliche Besinnlichkeit zu Hause.

© Imago/Christian Ohde

Nicht nur Besinnlichkeit: Weihnachten ist ein guter Zeitpunkt, um zu einer anständigeren Diskussionskultur zurückzufinden

Truthahn statt Trump, Pute statt Putin, Klöße statt Koalitionskrach – viele sehnen sich nach ein paar Tagen festlicher Auszeit. Wann, wenn nicht zu Weihnachten, darf man hoffen, dass die Welt selbst wieder eine erträglichere wird?

Christopher Ziedler
Ein Kommentar von Christopher Ziedler

Stand:

Klang die Weihnachtsgeschichte zu unseren Lebzeiten je unglaubwürdiger? Wenn wir Christinnen und Teilzeit-Christen dieses Jahr an Heiligabend vom Evangelisten Lukas „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ verkündet bekommen, hört sich das in unserer Realität an wie der sprichwörtlich fromme Wunsch.

Der russische Präsident führt seinen unbarmherzigen Angriffskrieg weiter, der amerikanische streicht den Ärmsten der Armen auf der Welt die humanitäre Nothilfe. Obendrein inszenieren sich beide Staatschefs als Hüter christlicher Werte – Wladimir Putin im Duett mit der orthodoxen Kirche, Donald Trump als Verkäufer eigener Bibeln, die wie so vieles den Namen des Narzissten tragen. Beide reden vom Frieden für die Ukraine, wollen aber Gelände- und Geschäftsgewinne verbuchen.

Manchmal weiß man gar nicht mehr, wohin mit der eigenen Ungläubigkeit!

Die weihnachtliche „Besinnlichkeit“, die sich unter dem Christbaum einstellen soll, ist vor diesem Hintergrund erst recht ein erstrebenswertes Ziel. Ein wenig Eskapismus hat noch niemandem geschadet, eine Atempause von der verrückt gewordenen Welt sei jedem gegönnt. Ganz abgesehen davon, dass körperliche Erholung vom anstrengenden Arbeitsalltag nötig ist.

Welche Themen sind uns wirklich wichtig?

Die nicht immer menschenfreundliche Organisation unseres Arbeitsalltags gehört zu den Themen, über die sich mehr zu sprechen lohnte – etwa für die Regierungspartei SPD, wenn CDU-Kanzler Friedrich Merz mal wieder allzu pauschal mehr Fleiß einfordert.

Selbst in der Hand haben wir es, uns auf eine anständigere Art und Weise zu besinnen, wie wir politisch miteinander diskutieren. Wir sollten uns weniger absichtlich missverstehen.

Christopher Ziedler

Wenn es darum gehen sollte, über die Feiertage nicht nur Besinnlichkeit zu zelebrieren, sondern auch wieder zur Besinnung zu kommen, wäre das eine der ersten Fragen, die zu stellen wäre: Worüber reden wir eigentlich?

Besonders laut, besonders schrill, besonders kontrovers, besonders verletzend – diese Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie beherrschen Autokraten und ihre digitalen Helfer mit ihrem ständig wechselnden Themenstakkato besonders gut. Sie bestimmen unsere Agenda. Russische Bots und amerikanische Algorithmen machen die Debatten der AfD groß und halten wichtigere klein. Komplizierte demokratische Prozesse machen sie ohnehin verächtlich.

Wie wollen wir miteinander reden?

Die Europäische Union beispielsweise ist bei allen Unzulänglichkeiten ihrer noch unvollendeten Konstruktion eine historische Errungenschaft – denunziert wird sie von Techmilliardär Elon Musk, US-Vizepräsident J. D. Vance und Moskaus Chefpropagandist Dmitri Medwedew allein deshalb, weil die Gemeinschaft ihrem Machtstreben entgegensteht. Die vielleicht größte Sünde von allen, um im religiösen Bild zu bleiben, ist das propagierte Desinteresse am Klimaschutz, ohne den die Erde für künftige Generationen schwer bewohnbar wird.

Es ist zu hoffen, dass viele US-Bürger bei den Zwischenwahlen im Herbst des neuen Jahres zur Besinnung kommen, sich vielleicht auch daran erinnern, was ihr christlicher Glaube eigentlich von ihnen fordert. Ob auch in Russland genug Menschen die Kraft finden, öffentlich für ein Ende der nachbarschaftlichen Gewalt einzutreten, steht in den Sternen.

Selbst in der Hand haben wir es, uns auf eine anständigere Art und Weise zu besinnen, wie wir politisch miteinander diskutieren. Wir sollten uns weniger absichtlich missverstehen und uns etwa fragen, ob es sein kann, dass unser Bundeskanzler gleichzeitig ein Linksradikaler und ein Nazi ist, wie plumpe Debattenbeiträge suggerieren. Jedem steht frei, die Politik von Friedrich Merz schlecht zu finden, weil er eine zu harte Migrationspolitik oder eine zu weiche Wirtschaftspolitik betreibt, aber haltlose Übertreibungen nutzen nur den wahren Extremisten.

Vielleicht ist in diesen besinnlichen Tagen auch Zeit, nachzudenken, ob man bei den Landtagswahlen im vor der Tür stehenden neuen Jahr wirklich Geschichtsvergessenheit wählen will. Probleme nicht gemeinschaftlich lösen zu wollen, sondern auf Kosten einzelner Gruppen – das führt zu nichts Gutem und ist von der christlichen Weihnachtsbotschaft maximal entfernt.

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